Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer sieht eine ganze Reihe von Gründen, warum der aktuelle Protest gegen steigende Energiekosten in Ostdeutschland stärker ausgeprägt ist als im Westen. "Zukunftsängste und Unzufriedenheit sind im Osten stärker, weil man hier schon viele Krisen und Umbrüche erlebt hat", sagte der Wissenschaftler (68) der Deutschen Presse-Agentur in Dresden. Verschiedene Gruppierungen seien in einzelnen Regionen gut verankert, etwa die rechtsextremen "Freien Sachsen" und "Freien Thüringer". Sie schafften es genau wie die AfD, immer wieder Leute zu mobilisieren. "Es gibt im Osten gewissermaßen ein politisches Unternehmertum. Der Protest ist hier gut etabliert. Die Strukturen sind da, die Personen sind da, das organisatorische Know-how ist da", sagte Vorländer. Das alles führe zu einer hohen Mobilisierbarkeit. Vorländer - Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden - ist vom Ausmaß der aktuellen Proteste nicht überrascht. "Das war nicht anders zu erwarten. Auf der einen Seite gibt es Sorgen, die in den Teuerungen begründet sind, Angst vor Energienotständen und eine Ungewissheit hinsichtlich der Zukunft. Auf der anderen Seite sind rechte und rechtsextreme Gruppierungen, die die Situation ausnutzen und das System destabilisieren oder gar umwerfen wollen", sagte er und ergänzte: "Für sie ist das ein guter Anlass, Leute auf die Straße zu bringen und gegen das System, die Politik und die Medien zu mobilisieren."

Seit Wochen gehen montags Tausende in vielen ostdeutschen Städten gegen hohe Energiepreise und die Politik der Bundesregierung auf die Straße. Vielfach gewannen sie an Zulauf. Aber auch der Ukraine-Krieg ist immer wieder Thema bei Protesten. Allein am Tag der Deutschen Einheit Anfang Oktober demonstrierten mehr als 100 000 Menschen nach Schätzungen der Polizei bei Dutzenden Kundgebungen in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

© dpa-infocom, dpa:221026-99-264099/2